Artikel 3: Zeit-Fragen Nr.44 vom 7.11.2005

 Ist die Vogelgrippe ein weiterer Schwindel des Pentagons?

von F. William Engdahl


Kaum wird Scooter Libby, Stabschef des Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, mit den Anklagepunkten der Lüge und der Vertuschung von Informationen konfrontiert, die gezielt eingesetzt wurden, um die Tatsache zu unterdrücken, dass die Bush-Administration keinen «rauchenden Colt» gefunden hatte, mit dem sie hätte beweisen können, dass Saddam Hussein ein Arsenal von Atomwaffen aufbaute, da taucht ein neuer Skandal auf, der in jeder Hinsicht genauso empörend und letztlich wahrscheinlich kriminell ist.

Entgegen jeder wissenschaftlichen Vorsicht im öffentlichen Gesundheitssystem wird die Weltbevölkerung durch unverantwortliche Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens der US-Administration über die WHO bis zu den United States Centers for Disease Control in einen Angstwahn getrieben. Sie alle warnen vor der drohenden Gefahr, dass ein bösartiger Virusstamm sich von infizierten Vögeln, primär von Vietnam und anderen asiatischen Zentren kommend, ausbreiten und die menschliche Spezies in pandemischem Ausmass kontaminieren könnte. Oft wird die Grippe-Pandemie von 1918, von der behauptet wird, sie habe weltweit 18 Millionen Menschen getötet, als Beispiel dafür zitiert, was uns «bevorstehen könnte».

Am 1. November, bezeichnenderweise einen Tag nach Halloween, hat Präsident Bush die National Institutes of Health in Bethesda, Maryland, besucht und die Strategie seiner Administration angekündigt, mit der man sich auf die nächste Grippeepidemie vorbereiten wird, sei es Vogelgrippe oder irgendein anderer Stamm. An dem Plan ist während eines Jahres gearbeitet worden. Es war nicht nur ein kleiner präsidialer Phototermin. Die Minister des Inneren, der Homeland Security, der Landwirtschaft, für Gesundheit und Soziales, für Transport, für die Angelegenheiten der Kriegsveteranen und, nicht zu vergessen, der Generaldirektor der World Health Organization (WHO), der extra aus Genf für dieses Ereignis eingeflogen wurde, nahmen teil.

Der Präsident begann seine Ansprache mit der zwischenzeitlich obligatorischen Schreckensgeschichte von 1918: «Gegenwärtig gibt es keine pandemische Grippe in den Vereinigten Staaten oder in der Welt. Aber wenn wir uns von der Geschichte leiten lassen, gibt es Grund, besorgt zu sein. Im letzten Jahrhundert wurden unser Land und die Welt von drei Grippe-Pandemien heimgesucht - und Viren von Vögeln haben zu jeder von ihnen beigetragen. Die erste, die 1918 zuschlug, tötete über eine halbe Million Amerikaner und mehr als zwanzig Millionen Menschen auf der ganzen Welt ...»

Er war bemerkenswert aufrichtig hinsichtlich der drohenden Gefahr für das amerikanische Volk: «Wissenschaftler und Ärzte können uns nicht sagen, wo und wann die nächste Pandemie zuschlagen wird oder wie heftig sie sein wird, aber die meisten sind sich einig: Wahrscheinlich werden wir es irgendwann mit einer erneuten Pandemie zu tun bekommen. Und die wissenschaftliche Welt ist zunehmend besorgt über ein neues Grippevirus, das unter der Bezeichnung H5N1 - oder Vogelgrippe - bekannt ist ...»

Er fuhr fort und betonte: «Derzeit haben wir keinen Beweis dafür, dass eine Pandemie bevorsteht. Die meisten der Menschen in Südostasien, die krank wurden, haben mit infizierten Vögeln hantiert. Und während sich das Vogelgrippevirus von Asien nach Europa ausgebreitet hat, gibt es keine Berichte über infizierte Vögel, Tiere oder Menschen in den Vereinigten Staaten. Auch wenn das Virus gelegentlich in Vögeln an unseren Küsten ankommen wird, heisst das nicht, dass in unserem Land Menschen infiziert werden. Die Vogelgrippe ist immer noch primär eine Tierkrankheit. Und bis jetzt ist es unwahrscheinlich, dass Menschen die Vogelgrippe bekommen, wenn sie nicht in direkten nachhaltigen Kontakt mit infizierten Vögeln kommen.»

Trotzdem rief der Präsident den Kongress auf, notfallmässig neue Mittel in Höhe von 7,1 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, um sich auf diese (nicht bevorstehende, nicht pandemische) Gefahr vorzubereiten. Das nennen wir Vorsicht. Vorrangig auf seiner Liste der Vorsichtsmassnahmen war der Aufruf an den Kongress, eine weitere Milliarde Dollar für Tamiflu freizugeben.

Am 28. Oktober verabschiedete der Senat als Reaktion auf die wachsende Vogelgrippen-Panik ein Gesetz über Sonderausgaben in Höhe von 8 Milliarden Dollar. Mike Leavitt, Minister für Gesundheit und Soziales, teilte der Presse in einem ehrlichen Moment während der Debatte über das Gesetz des Senates mit: «Wenn es nicht das gegenwärtige H5N1-Virus ist, das zu einer Grippe-Pandemie führt, wird es irgendwann in der Zukunft unseres Landes irgendein anderes Virus sein.» In der Zwischenzeit werden Milliarden von Steuergeldern an eine Handvoll Pharma-Riesen geflossen sein, die bereitstehen, um daran zu verdienen. Keiner erntet dabei mehr Mammon als der schweizerisch-amerikanische Pharma-Riese Roche Holding aus Basel.
Uns wird gesagt, die einzige Medizin, die die Symptome der allgemeinen oder der saisonalen Grippe und die «möglicherweise» auch die Symptome der Vogelgrippe mildern könne, sei ein Medikament namens Tamiflu. Derzeit besitzt die riesige schweizerische Pharmafirma Roche die einzige Lizenz, Tamiflu herzustellen. Dank der Medienpanik sind die Auftragsbücher bei Roche heute zum Überlaufen gefüllt. Roche hat kürzlich die Anfrage des US-Kongresses zurückgewiesen, seine exklusiven Patentrechte zu lockern, um anderen Arzneimittelherstellern zu erlauben, Tamiflu herzustellen - und zwar mit der wenig glaubwürdigen Entschuldigung, es sei in Wahrheit zu komplex, als dass andere es schnell herstellen könnten.

Jedoch ist der wirkliche Gegenstand des Interesses die Firma in Kalifornien, die Tamiflu entwickelt und die Vermarktungsrechte an ihrer patentierten Erfindung an Roche weitergegeben hat.


«Rummy Flu»

Tamiflu wurde 1996 von einer kalifornischen Biotechnologie-Firma namens Gilead Sciences Inc. entwickelt und patentiert. Gilead ist eine an der NASDAQ (GILD) börsennotierte Aktiengesellschaft, die es vorzieht, bei dem gegenwärtigen Sturm auf Tamiflu eine zurückhaltende Unternehmenspolitik zu betreiben. Das könnte damit zusammenhängen, wer mit Gilead in Verbindung steht. 1997, bevor er US-Verteidigungsminister wurde, war Donald H. Rumsfeld Vorsitzender des Aufsichtsrates von Gilead Sciences bis 2001, als er Verteidigungsminister wurde. Nach einer Pressemitteilung der Firma vom 3. Januar 1997 war Rumsfeld seit 1988 Mitglied des Aufsichtsrates von Gilead.

Nach einem bisher noch nicht bestätigten Bericht hat Rumsfeld während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister ein zusätzliches Aktienpaket seiner früheren Firma Gilead Sciences im Wert von 18 Millionen Dollar gekauft, was ihn derzeit zu einem der grössten, wenn nicht gar zum grössten Anteilseigner macht.

Der Verteidigungsminister, der Mann, der angeblich den Gebrauch von künstlich fabrizierten Geheimdienstinformationen zur Rechtfertigung des Irak-Krieges unterstützt hat, ist jetzt in der Position, riesige Gewinne aus der Grippe-Panik zusammenzuraffen, die die Regierung, der er angehört, nach Kräften geschürt hat. Es wäre hilfreich zu wissen, ob der Nachfolger von Douglas Feith im Office for Special Plans im Pentagon die Strategie der biologischen Kriegsführung entwickelt hat, die hinter der gegenwärtigen Vogelgrippe-Panik steckt. Vielleicht könnte ein betriebsamer Untersuchungsausschuss des Kongresses einmal das gesamte Thema wahrscheinlicher Interessenskonflikte von Minister Rumsfeld untersuchen.
Rumsfeld steht bereit, ein Vermögen mit Lizenzgebühren zu machen, während eine panische Weltbevölkerung sich abstrampelt, um ein Medikament zu kaufen, das im Hinblick auf die Heilung der angeblichen Vogelgrippe wertlos ist. Dieses Modell legt eine Parallele zu der schamlosen Korruption der Halliburton Corporation nahe, deren früherer Vorstandsvorsitzender Vizepräsident Dick Cheney war. Cheneys Firma hat bis heute Bauaufträge in Milliardenhöhe für den Irak und anderswo erhalten. Ist es reiner Zufall, dass Cheneys engster politischer Freund Verteidigungsminister und Nutzniesser der Vogelgrippe Don Rumsfeld ist? Es handelt sich um eine weiteres Beispiel dessen, was jemand das Prinzip der modernen US-Sonderinteressenspolitik genannt hat: «Gewinne privatisieren und Kosten sozialisieren». Präsident Bush hat der US-Regierung die Anweisung gegeben, von Gilead Sciences Tamiflu im Wert von zwei Milliarden Dollar zu kaufen. Das war vor seiner Rede vom 1. November vor dem National Institute of Health in Bethesda, Maryland, wo er um eine weitere Milliarde Dollar für Tamiflu bat.

 


Small Pox, Big Bucks ... [Wortspiel, wörtlich: Pocken und das grosse Geld]

Es scheint, dass der Verteidigungsminister ein recht glückliches Händchen darin hat, die Regierung dazu zu bringen, Impfstoffe von Firmen zu kaufen, an denen er direkt finanziell beteiligt ist. Viele werden sich an die Ängste direkt im Anschluss an die Ereignisse des 11. September 2001 erinnern, als die Bush-Administration laut über die «mögliche» Gefahr sprach, die von Usama bin Ladin ausging (für diejenigen, die es vergessen haben sollten, das war der Mann, der angeblich der Grund dafür war, dass die Vereinigten Staaten ihren Krieg gegen den Terrorismus begannen). Damals wurde uns gesagt, eines der möglichen Terror-Szenarios sei ein Angriff mit tödlichen Pockenviren, der die amerikanische Bevölkerung vernichten würde.

Glücklicherweise war die Administration damals ebenso wachsam, wie sie es heute im Hinblick auf die Vogelgrippe-Pandemie ist. Verteidigungsminister Rumsfeld befahl damals, dass Mitglieder der Streitkräfte gegen Pocken geimpft wurden, eine Impfung mit erschreckenden Nebenwirkungen. Die Behandlung schloss auch die Injektion eines Medikaments namens Vistide ein, angeblich um die Nebenwirkungen der Pockeninfektion zu behandeln, falls sie auftreten sollte.

Vistide war auch ein Produkt von Gilead Sciences, Herrn Rumsfelds früherer Firma, von der er bis heute grosse Mengen Aktien besitzt. Herr Rumsfeld war derjenige, der den Befehl unterzeichnete, damals den US-Truppen Vistide zu verabreichen. Wir können sicher sein, dass die Männer und Frauen der US-Streitkräfte diesmal auch unter den ersten sein werden, die Tamiflu von ihrem immer wachsamen Kommandeur bekommen. Seltsam, dass die «Washington Post» diesen auf den ersten Blick schamlosen Interessenkonflikt in der Person des Verteidigungsministers in einer Zeit nicht untersucht, wo die Medien entdeckt haben, dass die Lügen der Administration über angebliche Massenvernichtungswaffen des Iraks berichtenswert sind.


Genmanipulierte Hühner rächen sich

Aber die Interessenkonflikte wegen Tamiflu sind vielleicht nur die Spitze des Eisbergs bei der Vogelgrippe-Geschichte. In Grossbritannien und wahrscheinlich auch in den Vereinigten Staaten sind auf höchster Ebene Forschungen im Gange, um eine gentechnische Methode zu entwickeln, mit der Hühner und andere Vögel «resistent» gegen die Vogelgrippe-Viren gemacht werden können.

Britische Wissenschafter sollen Hühner genetisch verändern, um Vögel zu produzieren, die gegen die tödlichen Stämme des H5N1-Virus resistent sind, die die Geflügelwirtschaft im Fernen Osten vernichten. Laurence Tiley, Professor für Mikrovirologie an der Cambridge University, und Helen Sang vom Roslin Institute in Schottland sind daran, «transgene Hühner» zu entwickeln, bei denen kleine Teile von genetischem Material in die Hühnereier eingefügt werden, angeblich um die Hühner resistent gegen H5N1 zu machen.
Tiley berichtete der «London Times» am 29. Oktober: «Wir gehen davon aus, dass es nach der Erteilung der behördliche Genehmigung nur vier oder fünf Jahre dauern wird, um genug Hühner zu züchten, um die gesamte Welt-(Hühner-)Population auszutauschen.» Die eigentliche Frage im Zusammenhang mit diesem zweifelhaften Unternehmen ist, welche Genmanipulationsriesen diese Forschung und die Entwicklung der genmanipulierten Hühner unterstützen und wer ihre Produkte kontrollieren wird. Es wird zunehmend klar, dass die ganze Wahrheit der Vogelgrippe in ihren vollen Dimensionen nur langsam ans Tageslicht kommt. Was wir bisher erkennen können, ist in keiner Weise schön.

Die Bush-Administration hat immer wieder versucht, die Öffentlichkeit, und vor allem das Gesundheitswesen und die Ärzteschaft, zu überreden, sich für die Massenimpfung gegen Pocken starkzumachen. 2002 haben das Center for Disease Control (CDC) und bestimmte höhere Regierungsbeamte eine präventive Pockenimpfung für grosse Teile der Bevölkerung als Schutz gegen die Bedrohung durch von Terroristen verbreitete Pockenviren verlangt. Die Regierung fing mit der Bevorratung von Hunderten von Millionen Impfdosen an. Sie legte auch einen Vorrat von «Vistide» an.

Mit jeder neuen offiziellen Verlautbarung durch Regierungsmitglieder wuchs die Angst der Bevölkerung vor den Pocken. Tatsache aber war, dass entgegen diesen Verlautbarungen die Pocken überhaupt keine hochansteckende Krankheit sind. Dr. Kuritsky, MD, Direktor des Nationalen Impfprogramms und zuständig für Frühwarnung und Planung bei Pocken beim CDC, sagte: «Pocken haben eine langsame Verbreitung und sind nicht hochansteckend.»

Sogar in dem Fall, dass jemand einem erkannten bioterroristischen Angriff mit Pocken ausgesetzt wäre, würde das nicht bedeuten, dass er die Pocken bekäme, erläuterte Kuritsky weiter. Die Anzeichen und Symp-tome der Krankheit würden nicht sofort auftreten, und es gäbe genug Zeit zu planen. Zunehmend wandten sich erfahrene Mitglieder des US-Gesundheitswesens an die Öffentlichkeit und warnten ihrerseits vor den Nebenwirkungen der Immunisierung gegen Pocken, einschliess-lich schwerer Erkrankungen des Gehirns und des Herzens, Autismus, abnormaler Chromosomenveränderungen, Diabetes, verschiedener Krebsarten und Leukämien sowie Demyelination des Nervengewebes noch Jahre nach der Impfung. Viele fanden, es wäre besser, das Risiko eines bioterroristischen Angriffs einzugehen als diese «Medizin» zu nehmen. Die Kampagne für Massenimpfung gegen Pocken war ein Flop. Doch in der Zwischenzeit wurden Millionen Dosen von Vistide produziert und der US-Regierung verkauft, um die Wirkungen der Pocken zu «dämpfen», falls so ein hypothetischer Angriff tatsächlich stattfinden würde. Das Pentagon war damals der Hauptkäufer von Vistide.

Die Angstmache vor dem Pockenterror-Szenario erreichte mit dem Beginn des Irak-Krieges im Februar 2003 seinen Höhepunkt, als Horrorgeschichten die Runde machten, Saddam Hussein könnte gestohlende russiche Pockenvirusvorräte in seinem Besitz haben, die er auf die amerikanische Bevölkerung loslassen würde. In seiner Rede an die Nation im Januar 2003 schlug der Präsident ein «Bioschutz-Projekt» vor, bei dem Impfstoffe und Arzneimittel gegen einen Bioterrorangriff - inklusive Pocken und Anthrax - entwickelt werden sollten.
Am 21. Juli 2004 machte Präsident Bush durch Unterzeichnung eines entsprechenden Gesetzes das Projekt amtlich. Es sollten «neue Werkzeuge entwickelt werden, die die medizinischen Gegenmassnahmen zum Schutz der amerikanischen Bevölkerung vor chemischen, biologischen, radiologischen oder nuklearen Angriffen (CBRN) verbessern würden». Im Haushaltsjahr 2004 waren von den Mitteln, die auf das Ministerium für Innere Sicherheit entfielen, 5,6 Milliarden Dollar für den Kauf von verbesserten Gegenmitteln gegen Anthrax, Pocken und andere CBRN-Agenzien für die nächsten zehn Jahre vorgesehen.

Rumsfeld wusste genau, was er seinen Soldaten verschrieb. Auch Vistide war ein Produkt von «Gilead Sciences», der früheren Firma von Rumsfeld. Rumsfeld war die Person, die für die Entscheidung, den US-Truppen Vistide zu verabreichen, verantwortlich zeichnete. Diese Entscheidung entsprang offensichlich nicht der Güte des Verteidigungsministers oder seiner Sorge um die Gesundheit seiner Soldaten, da er ja mit den Nebenwirkungen des Mittels von Anfang an persönlich vertraut war, seit die Firma es in den späten 1990er Jahren zunächst zur Aids-Behandlung entwickelt hatte. Wie Rumsfeld genau wusste, hatte Vistide ziemlich heftige Nebenwirkungen. Laut Dr. Christopher Hogan, MD, Professor an der Abteilung für Notfallmedizin an der Medizinischen Hochschule von Virginia, gehören zu den Komplikationen, die bei Vistide auftreten können: Nierenvergiftung, Neutropenie, Fieber, Anämie, Kopfschmerzen, Haarausfall, Uveitis Iritis (entzündliche Augenerkrankungen) und Bauchschmerzen.

Aber einmal abgesehen davon, dass hier jemand mit der Angst vor Pocken oder der Vogelgrippe Millionen scheffelt, wäre es eine gefährliche Unterschätzung zu glauben, dass die Geldgier einer Person oder einer Firma schon das Ende der Geschichte ist. Das Alarmierende an Tamiflu, Vistide und den anvisierten neuen rechtlichen Bestimmungen für die «Impfstoffindustrie» ist die Tatsache, dass das alles ganz offensichtlich Teil einer viel umfassenderen Strategie ist, die die Bush-Administration scheinbar seit längerem entwickelt. Während der Pockenhysterie vor drei Jahren hat die Bush-Regierung republikanische Kongressabgeordnete dazu gebracht, einen Paragraphen in den Gesetzesentwurf für Homeland Security aufzunehmen, der die Pharmakonzerne von jeder Verantwortlichkeit für die von ihnen fabrizierten Arzneimittel freisprechen und ihnen Immunität gewähren würde, und zwar diejenigen Pharmakonzerne, die Pockenimpfstoffe herstellen.



Nürnberger Schutz der Menschenrechte bei Experimenten abschaffen

Nun versucht die Bush-Regierung, diese Immunität für Pharmakonzerne auszuweiten, indem sie das Klima der Angst vor der Vogelgrippe ausnutzt. In seiner Rede vor dem National Institute of Health vom 1. November schlug der Präsident vor, alle Arzneimittelhersteller vollständig von der Möglichkeit, sie gerichtlich für ihre Produkte zu belangen, auszunehmen. Er verwendete für dieses Vorhaben explizit die Worte «Haftpflichtschutz für die Hersteller von lebensrettenden Impfstoffen». Wenn man diese Ankündigung von der harmlos klingenden vornehmen Rhetorik entkleidet, heisst das nichts anderes als: Die Arzneimittelhersteller können produzieren und auf den Markt bringen, was immer sie den Menschen andrehen wollen, ob es nun Vistide, Tamiflu oder Thalidomid ist, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Wir brauchen nur einmal eine Minute zu überlegen, was die Folgen wären, wenn man diese Errungenschaft eines Jahrhunderts bitterer Kämpfe einfach abschaffen würde, nämlich die, dass wir heute ein Minimum an Kontrolle darüber haben, welche Substanzen der Öffentlichkeit als Arzneimittel verkauft werden dürfen.

Während der 1960er Jahre gründete Dr. Heinrich Mueckter, ein berüchtigter Nazi-Arzt, der von der polnischen Regierung wegen seiner furchtbaren Menschenexperimente mit Typhusbakterien im Konzentrationslager gesucht wurde, eine pharmazeutische Firma in Westdeutschland und entwickelte dort ein Arzneimittel, das er als harmloses Schlafmittel vermarktete. Sein Produkt Contergan wurde als so harmlos beschrieben, dass es ohne Rezept verkauft werden konnte, und eine Million Deutsche benutzten es jeden Tag, um schlafen zu können. Er bot sein Mittel besonders «schwangeren Müttern» an, die Schlafstörungen hatten. Das Ergebnis wurde bald offenbar: Tausende von grotesk deformierten Babys. Das Mittel, das er entwickelt hatte, enthielt Thalidomid. Zu der damaligen Zeit überliess es die deutsche Gesetzgebung der Pharmaindustrie oder einer lokalen Regierungsbehörde, in einer Art Selbstkontrolle Bestimmungen über solche Arzneimittel zu erlassen.

Oder denken wir an die riesigen Skandale, die mit dem antirheumatischen Arzneimittel Vioxx verbunden sind, das mehr als zwei Millionen Menschen in der ganzen Welt benutzten, als es letzten September von Merck & Co aus dem Verkehr gezogen wurde. Ernsthafte Studien hatten das Ergebnis erbracht, dass die Benutzer von Vioxx ein 400mal grösseres Risiko hatten, einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag zu bekommen. Das Risiko für Merck, für die Folgen haftbar gemacht zu werden, war sicher ein Hauptgrund für die Firma, Vioxx vom Markt zu nehmen.

Merck & Co begann Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Verkauf von Produkten als «Arzneimittel», die Morphium, Kodein, Chinin und Strychnin enthielten. Es gab damals keinerlei Bestimmungen für solche Hersteller. Der deutsche Erfinder des Aspirins, die Firma Bayer, verkaufte 1898 Heroin als «hervorragenden Hustenstiller». Das war es wahrscheinlich auch, aber damals redete man noch nicht über die Nebenwirkungen. Das war zu einer Zeit, bevor viele solche Skandale und ernsthafte Folgen für die betroffenen Menschen die Regierungen zwangen, gesetzlich zu regeln, was als Medikament verkauft werden durfte.

1962 brachte Senator Estes Kefauver als Antwort auf den Thalidomid-Skandal einen Gesetzesentwurf ein, der als «Ergänzung zum Kefauver-Harris-Arzneimittelgesetz» im selben Jahr verabschiedet wurde. Dieses Gesetz verschärfte die Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit und verpflichtete die Arzneimittelhersteller, oder, wie George Bush Sr. es gerne nannte, die «Impfstoffindustrie» zu beweisen, dass ein Arzneimittel wirksam ist, bevor es der Öffentlichkeit verkauft wird. Arzneimittel mussten bei der Food and Drug Administration registriert werden, und die FDA wurde «explizit befugt, der jeweiligen Firma angemessene Herstellungsmethoden vorzuschreiben». Sicherheits- und Reinheitsstandards wurden definiert. Des weiteren mussten Arzneimittelhersteller ab jetzt explizit die Risiken ihrer Produkte auflisten.

1948 nahmen die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen den sogenannten Nürnberg-Code an, ein Ergebnis des Militärprozesses, der 1946 in Nürnberg gegen Nazi-Ärzte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Experimenten mit Arzneimitteln und Viren an Menschen stattfand. Der Code wurde als allgemeines internationales Gesetz anerkannt, als Leitlinie für die medizinische Forschung. Wenn man nun gesetzliche Immunität gegen Strafverfolgung für die Wirkungen von Arzneimitteln gewähren würde, hätten die Pharmakonzerne nicht nur erfolgreich den Nürnberg-Code rückgängig gemacht, sondern auch ein Jahrhundert bitter erkämpfter Errungenschaften an Sicherheit für die Menschen durch Gesetze, die die Arzneimittelherstellung und deren Verkauf regeln.

Mit seiner Forderung, der Pharmaindustrie vor gerichtlichen Schadensverfahren Immunitätsschutz zu gewähren, will der Präsident, wie er sagt, «Schranken niederreissen, die die Impfstoffherstellung behindern». In Wirklichkeit ist er dabei, ein gesellschaftliches Umfeld zu schaffen, welches nicht einmal die Nazi-Ärzte und Pharmakonzerne im Dritten Reich geniessen durften - sie mussten ihr Tun verheimlichen! Wenn Präsident Bushs Forderung Gesetz werden sollte, wäre das ein sehr gefährlicher Präzedenzfall. Die eigentliche Frage, die sich stellt, ist die: Was ist so wichtig, dass es den Präsidenten der Vereinigten Staaten veranlasst, seine eigene Bevölkerung derartigen Risiken einer entfesselten Pharmaumgebung auszusetzen?

Dass es einen Virenstamm gibt, der Vögel befällt, besonders in Teilen von Vietnam und China, kann nicht der Grund sein. Eher geht es wohl um die politische Ausnutzung einer solchen Situation, um eine ganz andere Agenda einzuführen, eine Agenda, deren Folgen für das menschliche Leben und Wohlergehen viel, viel schädlicher sein werden als eine vorstellbare Gefahr, die von H5N1 oder irgendeinem anderen Virenstamm ausgehen könnte.

 

O heilige Globalisierung - deine technischen Industriehühner ...

«Nein, die Stallhaltung ist eben nicht sicherer, sondern die industrielle Produktion - und das sieht man in Asien, wohin viele der industriellen Produktionen ausgelagert wurden, wir haben inzwischen einen grossen Fleisch- und Tiertourismus. Das Zusammentreffen von traditionellen Rassen, von lokalen Rassen und technisch hochgezüchteten Hühnern machen genau das Problem aus. Genau wie bei den Zugvögeln, die das Virus zum Teil in sich tragen, aber nicht klinisch krank werden, gibt es eine hohe Ansteckungsgefahr bei diesen technisch hochgezüchteten Hühnern. Wenn dann das Virus in diese Massentierhaltung kommt, dann ist auch die Gefahr der Mutationen gegeben. Also die Massentierhaltung ist nicht Auslöser, sondern sie ist - sagen wir mal - Aufmarschgebiet für diese Krankheit.»

«[...] die eigentliche Gefahr liegt darin, dass technisch hochgezüchtete und dann in Massenhaltung aufeinandersitzende Tiere, also in diesem Falle Hühner oder Hähnchen, dass das genau die gefährliche Haltung ist für Viren.»

«[...] die Gefahr für die Tiere ist hoch. Aber ich sage, die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Ansteckung von Mensch zu Mensch kommt, die ist bis jetzt noch nicht gegeben, auch weltweit nicht.»

Interview mit dem Europa-Parlament- Abgeordneten Graefe zu Bahringdorf
im Deutschlandfunk am 20.10.2005
 
Artikel 3: Zeit-Fragen Nr.44 vom 7.11.2005, letzte Änderung am 8.11.2005